Tanvald
Tanvald

Deutschland – Polen – Böhmen – Mähren - Slowakei

 

20.06.

Bleigrauer Himmel. Bleigraue Laune. Die Abfahrt erfolgt über schon tausend Mal abgefahrene Straßen, was die Stimmung nicht hebt. Und schon wieder zwei Dutzend Kilo Gepäck auf dem Esel. Eine Kneipe des Wegs heißt „Zur Kurve“. Kurwa.

 

In Zittau geht es Richtung Bogatynia. Der riesige Steinbruch existiert immer noch und wird zunehmend von der weichen Abendsonne beschienen. Stimmungskurve zeigt zögerlich nach oben. Hinter Bogatynia ostwärts beginnt das Riesengebirge. Weiter geht es am Südhang in die Tschechische Republik. In Tanvald gibt es einen „Autocamp“, hoch über und weit draußen vor der Stadt, der eher einem Biwak gleicht, jedoch mit Warmwasserdusche, WC und Küchenzeile, betrieben von jugendlichen Kerlen, Motocross-Enthusiasten.

 

21.06.

Um 8 Uhr schnell zusammengepackt, Routine aus drei Wochen Baltikum und dreieinhalb derer Norwegen. In Desná weist ein Schild auf ein Spielzeugmachermuseum hin, leider ohne Adresse. In Bozkov gäbe es eine Höhle zu besichtigen. Die Gegend heißt Česky Raj, Tschechisches Paradies. In der Tat sehr schöne Märchenwälder, verwinkelte Straßen zweiter und dritter Ordnung – die allerdings in einem meistenteils miesen Zustand sind. Die Ausschilderung ist suboptimal, was Navi-Verächter hin und wieder in den Irrsinn treibt, und die 500er Karte löst so gut nicht auf.

 

In Chlum steht das Museum zur Königgrätzer Schlacht von 1866, fast zwei Stunden darin und davor auf dem Freigelände nebst Aussichtsturm zugebracht. Königgrätz, Hrádec Králove, selbst ist eine ausgewachsene Industriestadt, und die Staatsstraße 35 dahin und drum herum ist wegen der endlosen LKW-Karawane sehr stressig. Auf den kleineren Straßen hingegen geht das alte Such-und-Find-Spiel weiter, nicht zuletzt, weil die Straßennummern scheinbar wild wechseln, und auch dieser Umstand auf der Landkarte nur ungenügend wiedergegeben wird. +35°, und die Insekten spielen verrückt. Bei voller Fahrt sticht eine Biene oder Wespe in den Hals, genau da, wo der Kragen der Kombi scheuert.

 

Abkühlung und Linderung bringt ein kleiner See bei Brno. Die Hauptstadt Mährens selbst ist sehr betriebsam. Viele buntsanierte Häuser, Jugendstil und Ostblockbauweise in trauter Eintracht. Gassen- und Straßenbahnschienengewirr; die Straßenbahnen, offenbar einem separaten Ampelsystem gehorchend, sind allgegenwärtig und tauchen überfallartig an fast jeder Kreuzung auf und donnern in hohem Tempo durch die Botanik. Konzentration, erst recht der Hitze, ist überlebenswichtig...

22.06.

Kalt und windig, weit unter 20°, und stets ist die Gefahr eines Wolkenbruchs. Ein weiteres historisches Schlachtfeld erstreckt sich bei Austerlitz, heute Slavkov, wo 1805 Napoleon in der Drei-Kaiser-Schlacht die vereinten Armeen des ancien regime  Russlands und Österreichs zerrieb. Museum mit einem großen Anteil an Multimediapräsentation – etwas weniger dick aufgefahren wäre vielleicht besser. Vor dem Museum wurde 1905 zum Hundertsten eine Gedenkstätte errichtet, Jugendstil reinsten Wassers. Auch hier wurde gemahnt, dass sich Kriege nicht wiederholen dürfen, bringen sie nur Leid und Schrecken. Und? Neun Jahre Später ging es wieder los, und dann wieder, und wieder... Der Gedanke, dass der seit 1945 anhaltende Frieden in Europa (minus Jugoslawien) womöglich auch wieder eine Tages vorbei sein kann, erscheint angesichts dessen nicht sehr abwegig.

Zwei der drei Kaiser anwesend... Chlum, Museum Königgrätzer Schlacht
Zwei der drei Kaiser anwesend... Chlum, Museum Königgrätzer Schlacht

In Mikulčice liegt die Keimzelle des Großmährischen Reiches - eine Slawenburg aus dem 9. Jahrhundert. Bis auf einige Fundmente und den allerdings noch gut zu sehenden Erdwall ist ernüchternd wenig zu sehen. Geschlossene, weil nur per Führung und Extrazuzahlung zu besuchende Pavillons beherbergen die eigentliche Exposition. Immerhin kann man auf einen Turm klettern. Dort sind auf halbtransparenten Tafeln die „Vorstellungen des Künstlers“, wie diese Stadt damals ausgesehen haben könnte, auf nichtdigitale Weise in die Landschaft „eingespiegelt“. Im großen Konferenzgebäude ist eine Ausstellung mit Schülerzeichnungen zum Thema Alte Slawen zu sehen.

Slawendorf.
Slawendorf.

Der riesige Zeltplatz im slowakischen Malé Leváre ist zugig, leer und wenig einladend, doch die Umgebung ist schön. Die Campingchefin sagt, dass die Saison noch nicht wirklich begonnen hat. Das merkt man an den vielen kleinen Baustellen auf dem Areal. Mit Hilfe eines Freundes aus Polen wird nonstop hier geschraubt, da gesägt und dort gehämmert. Er spricht lupenreines Deutsch, jetzt wohnt er in Wien, doch lange davor, als junger Mann in den 80ern und frühen 90ern, viele Jahre in Westberlin. Und Motorrad ist er auch gefahren, Tausende Kilometer pro Jahr, und so manches Mal der Nase nach. Aus Jux und Dollerei sei er eines frühen Maitags, ohne groß Klamotten zu packen, nach Schweden aufgebrochen, doch schon in Sassnitz war die Fahrt wegen arschkalt zu Ende, und nur dank zweier heißen Kaffees, in jeder halberfrorenen Hand einer, blieben die Lebensgeister intakt. 

 

23.06.

Planziel heute: Balaton. Doch zuvor muss man durch die Slowakei durch, auf den Straßen erster Ordnung. Unlustig. Die Straßen sind zu voll. Der Anzahl der Autos wegen sowieso, aber auch wegen derer breitärschigen SUV-Bauart, und so bolzen sie entsprechend über die Pisten. Das fällt schön in Tschechien auf, doch in der Slowakei ist das Rasen, Schneiden und gefährlich in den Gegenverkehr hinein überholen irgendwie noch ausgeprägter.

 

Anscheinend sind die Zeiten, dass man über die Dächer der Autos weit vorausschauen konnte, endgültig passé. Oder man macht das Spiel selber mit und setzt sich auf ein Trumm der Kategorie 1200er GS oder Triumph Tiger. Die aber auch einmal wesentlich zierlicher waren, nebenbei bemerkt...