Ungarn

 

Der Norden des Plattensees ist schön, die Städte strotzen vor chicen Gebäuden und Geschichte, doch das Ziel ist die Südseite, per Autofähre bei Tihany angesteuert, weil Zeltplatz mit Sonnenuntergang muss ja sein. Sonnenuntergang fällt aus wegen Wolkenaufzug. Das Camping ist gesichert wie eine Kaserne. Dafür gibt es mehrere Kneipen, und Punkt neun abends steigt in unmittelbarer Zeltnähe eine Beachparty mit Uffta-Mugge, die geht bis nach elf. Dieser entflohen in eine kleine lauschige Bar am anderen Ende des Zeltplatzes, die von einem dänisch (er)-ungarischen (sie) Pärchen betrieben wird. Dort ins Gespräch mit einem gemütlichen sächsischen Enddreißiger über die Toten Hosen gekommen – er ist im Fanclub organisiert, und hat mit Campino so manches Tässchen geleert.

 

24.06.

Erster Day Off. Sporadische Regentropfen. Ausflug nach Tihany via Fähre, doch diesmal als Fußgänger. Nettes Städtchen, aber natürlich von Touristen überlaufen. Neben der Kathedrale, dem Lavendelhaus und kleinen Kunstgewerbeläden viel Souvenirkram, Nippes und Gastro. In der Kunstgalerie eine Ausstellung von Istvan Orosz besichtigt; seine Bilder sind die ultimative Weiterentwicklung von M.C.Eschers Optikparadoxien. Der Rundgang hat sich auf 13 km summiert.

 

25.06.

Gegen 9 Uhr Abflug Richtung Szeged. Nach dem langen Marsch gestern und dem unzureichenden Frühstück unterwegs Rast an einem Straßenrestaurant zwecks erweiterter Kalorienzufuhr. Auf der Speisekarte gibt es neben den Klassikern Burger/Gulasch/Schnitzel auch... Hirn. Sieht aus, wie Tote Oma, vulgo: Blutwurst, schmeckt aber, sagen wir, anders, aber eben auch lecker.

 

Keiner der auf der Karte bei Szeged vermerkten Zeltplätze existiert. Auf Nachfrage findet sich doch einer, das allerdings ist ein Nudistencamp. Der nächste liegt 40km weiter bei Kiskunmajsa. Volltreffer, es gibt sogar skandinavische Hütten, recht preiswert und darüber hinaus sehr willkommen angesichts des einsetzenden Regens und der fallenden Temperaturen. In Griechenland ist gerade ein Bombenunwetter, und dies hier sind dessen Ausläufer.

 

26.06.

Szeged, nicht nur berühmt ob der Salami und des Gulaschs. Spaziergang durch die Alt- und Neustadt.

Stilmix in Szeged
Stilmix in Szeged
Tihany. Marzipan-Manufaktur
Tihany. Marzipan-Manufaktur

27.06.

Siebenschläfertag, wie üblich auf Reisen, verregnet. Zunächst. Dann aber halbwegs gutes Wetter für eine 100km-Rundfahrt. Beginnend bei Kiskunmajsa, wo es ein kleines Museum zum Aufstand von 1956 gibt. Leider verriegelt und verrammelt.

Puszta. Die Landschaft topfeben, die Straßen leer. Durchatmen. Die Bugac-Puszta ist Landschaftschutzgebiet, und es gibt eine Art Open Air Museum mit Replikas von früheren Steppenhütten aus Stroh und täglich nachmittags eine Show der Pferdezüchter, die gewagte Stunts auf ihren Pferden vorführen. Jetzt, am Morgen, sind nur ein paar Schulklassen unterwegs, die kollektiv gelangweilt in ihre Smartofone starren. Dabei ist die karge, in den Farben Gelb, Violett und Blau vor sich hin blühende Vegetation einen genaueren Blick wert. In etwa 8 km Entfernung vom Eingang erstreckt sich ein durchgängiger Wacholderbaumwald. Bei Kuskunmajsa soll es auch es auch eine Sanddüne geben, quasi ein Stück Wüste nebst Sandsteinhügeln, doch trotz Hinweistafeln und mehrmaligem Abfahren und Abwandern des fraglichen Areals nichts dergleichen entdeckt.

 

Gegen eins Rückkehr zum Camping, Mittagspause, den Schmöker „Motherless Brooklyn“ endlich fertiggelesen. Ab drei gilt ermäßigter Eintritt in die angrenzende Therme. Das Gelände besteht aus einem Spaßbad unter freiem Himmel, einer großen Liegewiese mit gastronomischen Einrichtungen und einer großen Halle, die mehrere Becken hat, in denen man im Wasser, das tief aus der Erde kommt, schwimmen (kalte Variante) oder sich faul aalen kann (heiße Variante). Dazu noch einige Saunen diverser Hitzegrade. Draußen hat der Regen wieder eingesetzt und es ist kalt geworden, und die Bademeister, in Fleece und Regenjacken gewandet, langweilen sich, weil sich kaum jemand draußen aufhalten mag.

 

Nach knapp drei Stunden raus aus dem „Fürdö“ und hinein in eine Kneipe mit TV, um das deutsche WM-Vorrunden-Aus mitzuerleben. Wunderbar! Seit einem Achteljahrhundert sitzt Meister Jogi unverrückbar auf seinem Posten, mit einem nunmehr mäßig bis saumäßig spielenden Team. Die Parallelen zum Politbetrieb sind frappierend. Jetzt ist wenigstens bald eine der ermüdend immer gleichen Figuren weg vom Fenster.

 

Später am Abend lange Unterhaltung mit einer netten Management-Studentin, die mit ihrer großen Familie (Eltern, Tanten, Onkel, Neffen, etc...) Urlaub macht, einen wilden Haufen Kinder hüten darf, was sie sich allerdings per erhöhter Zufuhr von Fröccs, also Weissweinschorle erträglich gestaltet. Sie ist eine universitäre Globetrotterin, Studium aktuell in Maastricht, davor in Italien und Budapest. Natürlich durfte man auch erfahren, woher alle ihre Ex-Freunde kamen, als da auszugsweise wäre : Italien, USA, Griechenland, Niederlande. Fortsetzung folgt nächstes Semester, ließ sie verlauten :-)

 

Als „Betthupferl“ noch einmal an der Rezeption in die TV-Röhre geschaut. Welch Fehlentscheidung! Da liefen die Tagesthemen, ein WDR-Kommentar über die „unglaublichen Menschenrechtsverletzungen“ in Russland. Aha, nach dem WM-Aus darf also wieder auf den Iwan eingedroschen werden. Erbärmlich. Übrigens – es hängen im ganzen Orbán-Land so ziemlich überall EU-Fahnen...